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Story von Antonia Baumann

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Zielland Frankreich
Geburtsdatum 20.10.1997
Kategorie
Studierende/r
Soziale Netzwerke

Antonia Baumann, am 18.11.2018 um 15:31

Ça crame - Ausschreitungen auf La Réunion

Meine Schilderung der heftigen Proteste in den letzten zwei Wochen auf La Réunion

In den letzten zwei Wochen kam es hier immer wieder zu heftigen Ausschreitungen. Die erste war in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November, also zu Halloween. In ganz Frankreich versammelten sich Jugendliche um den bekannten Film "The Purge” nachzuahmen - es wurden Glasflaschen geworfen, Mistkübel und sogar Autos angezündet, in Geschäfte und Hotels eingebrochen. Auf La Réunion war die Situation im Vergleich zu den anderen französischen Städten schlimmer, die Polizei hatte die Lage aber noch unter Kontrolle und konnte schlimmeres verhindern. Die ganze Nacht hörte man aufgebrachtes Geschrei, kleinere Explosionen, Sirenen und Polizeihubschrauber und roch verbranntes Plastik. Zu dieser Zeit war ich bei einer Halloweenparty am Campus, die um 01:30 endete. Wir wurden um kurz nach halb von den bewaffneten Securities, die teilweise sogar Hunde an ihrer Seite hatten, “gebeten” den Campus zu verlassen. Der Campus befindet sich allerdings in einem der schwierigeren Stadtteile von Saint-Denis, in dem es zu besonders vielen Ausschreitungen gekommen ist. Statt dass sie uns also am sicheren Campus gelassen hätten, wurden wir hinausgeschmissen und so blieb mir nichts anderes über als  den Nachhauseweg durch das Viertel anzutreten. Glücklicherweise kenne ich den Weg zwischen Uni und meiner Wohnung inzwischen so gut, dass ich in einen sicheren Weg in einer kleinen Seitengasse eingeschlagen habe und schlussendlich gut nachhause gekommen bin. Die Gegend, in der die Wohnung liegt, ist zwar nicht ungefährlich aber war nicht der Hotspot dieser illegalen Aktivitäten. Andere Freunde von mir, die in gefährlicheren Gegenden wohnen, berichteten mir ganz andere Dinge…

Am nächsten Tag hatte sich die Lage zum Glück wieder beruhigt, die ausgebrannten Autos und Mistkübel wurden entfernt, die Straßen gesäubert. Ich dachte mir, dass sich damit die Ausschreitungen erledigt hätten - womit ich aber leider falsch lag.

Am 17. November wurde in ganz Frankreich zum Generalstreik aufgerufen, da die Regierung die Spritpreise erhöhen will. Menschen in gelben Warnwesten blockierten die Straßen, der Verkehr wurde lahmgelegt. In meiner Nähe wurden fast alle Straßen gesperrt, sämtliche Ein- und Ausfahrten der Kreisverkehre wurden entweder mit Autos oder Barrikaden aus Paletten, Verkehrsschildern, Mülltonnen oder Reifen versperrt. So ähnlich sah es auf der ganzen Insel aus, alles stand still. Am Abend wurde es aber noch um einiges schlimmer als in der Halloween Nacht, denn die Befürchtungen der Polizei verwirklichten sich. Autos wurden aufs Dach gedreht und angezündet, ebenso alle Mistkübel und Müll in den Straßen. Die Polizei brauchte die ganze Nacht um Herr über die Situation werden zu können. Ich befand mich an dieser Samstagnacht bei einer Freundin und musste dann zu Fuß zurück in meine Wohnung gehen. Da ich den Geschehnissen in den Nachrichten folgte, wusste ich, ab wann in etwa die Polizei wieder die Oberhand gewonnen hatte und machte mich daraufhin auf den Weg. Alle 5 Meter brannte es auf der Straße, überall standen demolierte und teilweise ausgebrannte Autos, manche davon lagen sogar auf dem Dach, es stank nach verbranntem Plastik. Angetrunkene Menschen, vor allem Jugendliche, hatten mit teilweise brennenden Glasflaschen auf Menschen und Autos geworfen, zum Glück war dieser Spuk schon vorbei, als ich unterwegs war. Das französische Pendant zur Cobra war überall im Einsatz, hinter ihnen loderte das Feuer der brennenden Palme im Kreisverkehr. Ich bin zum Glück unverletzt in meiner Wohnung angekommen, trotzdem haben mich diese Ereignisse schon sehr mitgenommen. 

Erklären kann ich mir diese Ausschreitungen daran, dass die Arbeitslosenrate, vor allem bei den Jugendlichen, auf La Réunion sehr hoch ist. Zusammen mit den gehobenen Lebenskosten ergibt dies ein sehr hohes Konfliktpotential und wenn ihnen ein Anlass gegeben wird, demonstrieren die jungen Reunionnaisen heftig. 

Ich habe länger überlegt, ob ich einen Eintrag über diese Geschehnisse hier veröffentlichen sollte, habe mich dann aber dafür entschieden, da ich es wichtig finde, nicht nur über die positiven Seiten eines Landes und eines Aufenthalts zu berichten. Natürlich möchte ich hiermit keinem Angst machen und möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass ich in Sicherheit bin. Die Proteste und Straßenblockaden sollen noch mindestens bis Mittwoch aufrecht erhalten werden. Ich hoffe sehr, dass ich nicht noch einmal in solch eine Situation geraten werde. 

Update vom Montag, 19. November: Bereits gestern Abend hat der Präsident der Universität alle Prüfungen abgesagt. Ich hatte zwei Prüfungen, eine um 7:30, die zweite um 10:30. Die Erste konnte ich noch normal schreiben, noch bevor die zweite Prüfung beginnen konnte, wurde die ganze Universität und der Campus geschlossen, alle Studenten gebeten nach Hause zugehen. Offenbar wurde in der Nacht eine Peugeotfiliale sowie einen McDonald's angezündet und ein Supermarkt in Saint Denis überfallen. Supermärkte bleiben geschlossen, es brennt weiterhin in den Straßen, Jugendliche werden mit Steinen und Glasflaschen auf Autos. Verwaltungsgebäude wurden gestürmt, die Universität bleibt auch morgen geschlossen, ebenso alle Schulen und Kindergärten. In dieser Nacht sollen die Vandalismushandlungen wohl ihren Höhepunkt erreichen, ich werde die Wohnung nicht verlassen. 

brennendes Auto, erste Brandstiftungen, Feuer vor dem Studentenwohnheim am Campus, Straßenblockade, brennende Mülltonne und brennendes Auto (Fotos der Onlineausgabe der Zeitung Zinfos974)