Typisch für Erasmus-Studenten sind jene Tage, bei welchen man fröhlich aufwacht und sich auf die nächsten spontanen Ereignisse freut, mit der Frage: Was erwartet mich heute? Die Tatsache, dass sich auf jenem Foto meine Studienkollegin Evelyn und ich auf einer Plátano-Plantage in Gran Canaria befinden, lässt sich nicht so einfach erklären, denn wir studierten eigentlich in Valéncia, fernab von den Kanarischen Inseln. Ja, auch Christoph Columbus fragte sich damals in der Kirche (Parroquía de San Francisco de Asís) in Las Palmas, wo seine Reise enden mochte, man treffe hier ein Paradebeispiel zur Weltoffenheit und Neugier.
Alles begann bereits im Jahr 2020, als Evelyn und ich uns ebenso in einem Erasmus-Semester in Valencia befanden. Wir buchten einen Flug nach Gran Canaria, um unsere Freunde Alberto und Octavio zu besuchen, die wir im Vorjahr auf unserer Heimatuniversität kennengelernt hatten. Sie hatten uns eingeladen, da wir ihnen als Erasmus-Buddys viele kulturell bedeutsame Orte in Baden und in Wien gezeigt und unter anderem Wanderausflüge mit ihnen in die Wiener Alpen unternommen hatten. Leider war 2020 kein Wiedersehen möglich.
Im Folgejahr, als wir uns wieder in Valencia befanden, beschlossen wir nun, die Reise nachträglich umzusetzen. Nach dem Motto „compartir es vivir“ (teilen ist leben) oder „mi casa es tu casa“ (mein Haus ist dein Haus), verbrachten wir eine Woche bei ihnen daheim und erkundeten gemeinsam mit ihnen Gran Canaria in vollen Zügen!
Am letzten Tag vor der Heimreise brachen wir zu einer Fahrt zur Nordküste (El Clavo) auf. Neben schönen, naturbelassenen Lagunen passierten wir unzählige Anbauflächen von Erdbeeren, Plátanos, Gemüsevarietäten und Avocados.
Meine Studienkollegin wollte unbedingt eine Plátano-Farm ansehen (Platano Canario ist eine kanarische Bananensorte – sie ist kleiner und schmeckt süßer als die bei uns erhältlichen importierten Bananen) und so machten wir bei einer Bar halt, um uns kurz zu orientieren. Ich hörte deutsche Stimmen, blickte zum Nachbartisch und sah eine Schar älterer Herren, die mit lautem Gelächter ihre Gläser anstieß, während sich auf ihrem Tisch Gemüse aller Art befand. Ich fragte ob sie Bauern seien, doch sie verneinten und zeigten allesamt auf einen Herrn, der am Tischende saß: „Kennst du noch nicht Mr. Banana Joe aus Gran Canaria“, fragten sie. Schmunzelnd kam jener Bauer zu unserem Tisch herbei und legte einen Karfiol, eine Avocado, eine Gurke und einen Sack Kartoffeln auf unseren Tisch.
Er meinte, wir sollten dies als ein Geschenk von kanarischem Boden annehmen, und falls wir mehr über die lokale Landwirtschaft kennenlernen wollten, dann mögen wir ihm bitte folgen. Er stieg in sein Auto und wir fuhren ihm hinterher, bis wir wie aus dem heiteren Himmel vor einer Plátano-Plantage hielten. Diese erstreckte sich über drei Hektar. Die Bananen waren größtenteils bereits essreif (mehrmals jährlich werden sie geerntet).
Es war höchst beeindruckend, sich in diesem Meer von Plataneras zu befinden. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte ich mir nicht vorstellen können, dass solche tropischen Früchte auch bei uns in Europa angebaut werden können.
Die Offenheit der Spanierinnen und Spanier und deren Gastfreundlichkeit haben uns dieses spontane und lustige Erlebnis ermöglicht, und ich möchte mir diese Werte für meinen weiteren Lebensweg beibehalten! Für Studenten gibt es keine bessere Möglichkeit, andere Kulturen so hautnah zu erleben wie auf einem Erasmus-Plus-Auslandsaufenthalt. Vielen Dank für dieses unglaubliche Semester!
Benedikt Wöber, Baden