Erasmus-Semester = Freizeitstress
Ich bitte den/die liebe_n Leser_in diese Hypothese nicht zu ernst zu verstehen. Das bekannte italienische "Dolce Far niente" lässt zwar schon grüßen, aber ich würde meine Freizeitaktivitäten nicht unbedingt mit dem "Far niente" bzw. Nichts Tun vergleichen. Zudem gestaltet sich schonmal die Definition "Freizeit" im Kontext des Erasmus-Semesters als schwierig. Wo grenzt man ab und vor allem was grenzt man von was ab? Im Alltag zu Hause trennt man bekanntlich die Arbeit/Uni von der Zeit außerhalb, also der freien Zeit, die man x-beliebig gestalten kann. Diese haarscharfe Trennung hängt vor allem damit zusammen, dass Uni so normal, selbstverständlich und eben auch manchmal lästig sein kann. Aber im Erasmus-Semester ist Uni alles andere als normal und selbstverständlich, okay manchmal lästig. Insofern kann ich Uni nicht von der freien Zeit trennen, da auch Uni so viele neue Erfahrungen bringt und Teil des ganzen Experiments "Erasmus" ist. Natürlich würde ich oftmals lieber ein/zwei Stunden länger bei den nächtlichen Events dranhängen und nicht an die vier Stunden Schlaf und den Augenringen in der Uni am nächsten Morgen denken. Aber eigentlich ist hier doch alles Freizeit. Eigentlich ist hier alles Abenteuer und Erfahrungen sammeln. Eben auch Uni, die zu Hause zum Teil der Nicht-Freizeit zählt.
Nun gut, dann hätten wir mal geklärt, dass Uni nicht wie gewohnt zur Nicht-Freizeit zählt. Dann wäre es ja noch interessant zu wissen, was dann hier im Erasmus-Semester zur Freizeit zählt, was auch im gewöhnlichen Leben zur Freizeit gehören würde und was jetzt nun wirklich diesen Freizeitstress verursacht.
Erasmus-Veranstaltungen verschiedenster Art stehen hier natürlich ganz weit oben. Von Tandems, Trips nach Rom, Sizilien oder zum Schokoladenfestival, nächtliche Schatzsuche, Apericena, bis Villa-Party-weekend, Karaoke, Quiz-night, diverse Tours zur Stadterkundung und international dinner sind sonst noch jede menge Spaß und Angebot dabei. Im Grunde hätte man schon einen Vollzeitjob alle Angebote der verschiedenen Erasmus-Organisationen wahrzunehmen. Und dann lernt man bei den Events ja auch noch einige nette Leute kennen, mit denen man dann irgendwann, wenn man sich gern hat, auch außerhalb der Events Zeit verbringt und z.B. einen nahegelegenen Ort erkundet. Zwischendrin, aber immer recht kontinuierlich, meldet sich der Sprachkurs, für den man sich in der Anfangsphase enthusiastisch und ehrgeizig angemeldet hat und das ist gut so. Nach dem dreistündigen Sprachkurs erkundet man mit dem einen Freund, der sonst nie bei den Erasmus-Events dabei ist diverse kulinarische Insider-tipps. Dass die kulinarische Gönnung nicht sofort in den Hüften rutscht und hängen bleibt, ist ein Jogging-Ausflug nicht verkehrt. Und außerdem braucht man auch Zeit für sich. Zeit, wozu man in der heimatlichen Freizeit, die haarscharf von der Nicht-Freizeit, z.B. Uni getrennt ist, nie kommen würde bzw. sich einfach nicht oder zu wenig Zeit dafür nimmt. In meinem Fall sind es Dinge wie
Freihandzeichnen
Jazz-Skalen und Jazz Standards auf dem Saxophon und Klavier in die Finger bekommen
neue Rezepte ausprobieren
mehr schreiben - sei es Tagebuch oder was mir sonst durch den Kopf geht -
Dokus schauen über Themen, mit denen ich mich gerne mehr befassen würde
meditieren
fotografieren und Fotos bearbeiten
mein Allgemeinwissen vergrößern
lesen
kreativ sein in verschiedenster Art und Weise
Hörbücher hören
Zeitungen durchstöbern
Nachmittage in der Bibliothek verbringen
neue Musik und Musiker entdecken
einfach SEIN
und bei all dem mich selbst, meinen Charakter, meine Vorlieben, Präferenzen... besser kennenzulernen. Doch diese Aufzählung an Dingen, denen ich mich gerne öfters widmen würde, wird bei weitem nicht meiner Neugierde und meinem Ehrgeiz gerecht. Und dann wundere ich mich noch, wieso mein Tag nicht 24h sondern gefühlt max.10 Stunden hat.... :)
Insofern empfinde ich die reichlich genügenden Ideen, Inputs und Angebote wie ein Meer voller Fische. So viele Fische, so viele Angebote, dass ich im Grunde sogar von Freizeitstress reden könnte. Aber da Stress immer so negativ assoziiert wird, möchte ich einfach sagen, ich weiß hier sehr wohl wie meine Freizeit, also hier meine gesamte Zeit, zu gestalten und habe viel zu tun. Manchmal brauche ich etwas Abstand und besonders wichtig ein Fernrohr, um das Meer zu überblicken (siehe Foto) und die richtigen Fische zu fischen.