Wenn ich auf mich zurückblicke, als ich 18 Jahre alt war, hätte ich mir nie gedacht, mich eines Tages in einer derartigen Lebenssituation zu befinden: Meine Partnerin Anna und ich sind tausende von Kilometern voneinander getrennt, ich in Österreich und sie in Russland. In meinen jugendlichen Jahren habe ich mich öfter in Prokrastination verloren und habe unzählige Stunden mit dem Handy und Videospiele meine Zeit vertrieben. Ebenfalls auf der Arbeit hatte ich keine Motivation Karriere zu machen, hier habe ich nur darauf gewartet, dass die Zeit vergeht und ich mit dem Bus nach Hause fahren kann. Es war mir klar, dass sich etwas ändern musste. Aber was?
Nach einer Achterbahnfahrt von positiven und negativen Erfahrungen kam ich zu dem Entschluss, dass sechs Arbeitsjahre genug waren und es wieder an der Zeit war, sich mit Bildung auseinanderzusetzen. Meine Ziele wurden klarer, ich kam zu dem Entschluss, die Studienberechtigungsprüfung an der Uni Graz zu absolvieren und mich meinen Ambitionen als Englisch- und Sportlehrer hinzugeben. Es war eine leicht beängstigende Herausforderung, da ich genau wusste, dass ich im zarten Alter von 15 Jahren zu arbeiten begonnen habe und seither keinen regelmäßigen Englischunterricht mehr hatte. Entschlossener Weise suchte ich nach allen Möglichkeiten, um schnellstmöglich alles durch meine Lehre als Bürokaufmann versäumte Englisch nachzuholen.
Aufregung stieg als ich von verschiedenen Volunteering Projekten erfuhr, wie etwa Volleyball Coach im Norden von Spanien zu sein, in einer Fahrradwerkstatt zu arbeiten und anschließend Fahrradtouren in einer kleinen Community für niederländische Youngsters zu leiten, oder einen englisch bezogenen Sportunterricht im Herzen von Frankreichs zu führen. Es war eine Erkenntnis, was es wirklich bedeutet, Europäer zu sein - alles wurde finanziell unterstützt. Ich konnte es kaum glauben, dass mir mein eigenes WG-Zimmer, sowie 300€ Taschengeld von der Organisation und etwa 220€ von Österreich zur Verfügung gestellt wurden.
Nach einigen Wochen intensiver Suche nach dem für mich perfekten Auslandsprojekt des ESK fand ich mich in der bezaubernden Stadt Puertollano in Spanien wieder. Hier bestand meine Aufgabe hauptsächlich darin, die Schüler (Volksschüler, Hauptschüler, Gymnasiasten und Berufsschüler, die starkes Desinteresse bezüglich Englisch hatten) zur mündlichen Teilnahme an Aktivitäten zu ermutigen. Außerdem sollte ich meine Schüler mit der Struktur der Oxford Sprechen- und Schreiben Prüfungen vertraut machen. Vor allem aber wurde Wert darauf gelegt, dass sie andere europäische Kulturen erkunden und schätzen lernen. Ich war ziemlich aufgeregt, voller Vorfreude, jedoch auch zugleich nervös. Die Vorbereitung von Unterrichtsstunden war eine große Herausforderung, da ich in diesem Bereich bisher noch nicht viel Erfahrung hatte. Tatsächlich bemerkte ich aber sehr bald, dass diese Herausforderung zu einer der schönsten Aspekte des Jobs wurde und mir dadurch erfüllende Momente im gelungenen Unterricht bescherte.
In Puertollano spielte Anna, eine Russin, welche bereits ein zweites Freiwilligenjahr auf der Don-Bosco Schule hatte, eine große Rolle. Indem sie mir und den anderen Freiwilligen aus ganz Europa über mehrere Stunden hinweg erklärt, wie es ist, ein Sprachassistent/Lehrkraft zu sein, was man genau unterrichtet und wie man schlussendlich den Unterricht führt.
Im Laufe der ersten Tage beim Erkunden der ersten Bars in unserer kleinen Stadt bemerkten Anna und ich ziemlich bald, dass unsere Denkweisen super miteinander harmonierten. Daraufhin verbrachten wir ziemlich viel Zeit damit, durch Puertollano zu schlendern, zusammen als Sprachassistenten zu arbeiten und unsere Kleingruppen zu leiten. Nicht zu vergessen, genossen wir die kostenlosen Tapas, die zu jedem Getränk serviert wurden (3€ für 0,5l Bier und Tapas), und verliebten uns dabei immer mehr und mehr ineinander.
Mit dem Fortschreiten des gemeinsamen Jahres machten Anna und ich uns auf Abenteuerreisen durch das ganze Land, manchmal in einem BlaBlaCar auf dem Weg nach Sevilla, dann in einem winzigen und niedlichen Fiat 500, der sich auf der hügeligen spanischen Autobahn Richtung Norden, mit vorbeifahrenden Lastwagen quälte, am westlichsten Punktes Europa (Kap der Felsen), oder wir schliefen auf den Schultern des anderen und fuhren mit dem Zug vom regnerischen Porto ins sonnige Lissabon. Es fühlte sich an wie endloser Sommer, obwohl ich mich nie an die kalten Fliesen in Spanien gewöhnen konnte. All unsere Abenteuer schienen grenzenlos, jedoch tauchte früher oder später die unausweichliche Frage auf: “Wohin als nächstes? War das schon alles?”
Wir beide weigerten uns, nach dem Projekt in Spanien und dem damit verbundenen Visum voneinander loszulassen. Deshalb kamen wir zu dem Entschluss, unsere Beziehung in Österreich fortzuführen. Anna befindet sich derzeit in Russland und bereitet dort die notwendigen Dokumente für ein Visum in Österreich vor, wo wir uns beim Standesamt verpartnern und anschließend um die Aufenthaltserlaubnis ansuchen. Wir sind uns darüber im Klaren, dass ihre Einwanderung nicht einfach sein wird, jedoch hat uns Spanien gezeigt, wie man sich anpasst. Spanien hat mir gelehrt, dass die Sprache zweitrangig ist. Von Bedeutung ist, wer man ist und nicht woher man kommt.
Was ich mit Sicherheit vermissen werde, ist die enge Gemeinschaft an unserer Schule, die Fußballspiele in den Pausen, die Verwendung von Englisch im Alltag und die unterhaltsamen “Gespräche” beim Friseur, obwohl ich keinen geraden Satz auf Spanisch formulieren konnte.
Trotz all dieser Herausforderungen hat mich diese Erfahrung ein großes Stück in meinem Leben vorangebracht und für die Zukunft ausgestattet. Jetzt, da ich in Österreich bin, ist mir klar geworden, dass ich unglaublich beeindruckende Qualifikationen für jedes Bewerbungsgespräch erworben habe. Meine Sprachkenntnisse haben sich deutlich verbessert, meine Fähigkeiten im Problemlösen geschärft und meine Führungsqualitäten beim Unterrichten meiner eigenen Schulgruppe geübt. Ebenfalls sind Anna und ich davon überzeugt, die bevorstehenden Hindernisse zu überwinden. Aber all dies, indem wir uns bewusst sind, dass die engen Verbindungen, die wir geschaffen haben, die unvergesslichen Erfahrungen, die wir gesammelt haben, von unschätzbarem Wert sind. Diese Reise erinnert uns daran, dass Liebe keine Grenzen kennt und das Leben überraschende und wundervolle Wendungen nehmen kann.