Meine Erasmus-Story in vier Kapiteln
Entscheidungsfindung
Wie ich wohl die neun Wochen Sommerferien verbringen könnte? Ich möchte etwas erleben, möchte die Zeit im Sommer nutzen für Aktivitäten, die während des Jahres für mich nicht möglich sind. Vielleicht ein Sprachaufenthalt? Spanisch oder Englisch?
Jetzt sind wir eine Erasmus+-Schule – könnte ich mir ja zunutze machen. Unsere bilinguale Schule, ich als Klassenbetreuerin einer bilingualen Klasse mit teilweise nur Englisch-sprechenden Eltern - würde gut passen.
Gespräche mit den zuständigen Personen, Schulauswahl online. Malta? Zu heiß im Sommer. Großbritannien? Nicht mehr bei der EU. Irland? Ja, Irland!
Kontaktaufnahme mit zwei verschiedenen Sprachschulen in Irland. Die ATC Language School wirkt sehr sympathisch, fast familiär. Schwierige letzte Entscheidung: In einer Stadt oder direkt am Meer – Dublin oder Bray? Wie fein, dass es die gleiche Organisation ist – so kann ich eine Woche in Dublin und eine in Bray verbringen.
Im Vorfeld
Viele Fragen: Wie es mir dort wohl ergehen wird? In welches Sprachniveau ich wohl eingeteilt werde? Genüge ich meinen eigenen Ansprüchen? Welchen Menschen und Kulturen werde ich dort begegnen? Werde ich eine der ältesten Personen sein? Und: Wird es viele TeilnehmerInnen von Erasmus-Projekten geben? Werde ich Kontakte mit anderen Schulen knüpfen können? Wie könnten diese für unsere Schule genutzt werden?
„Mama, dein Englisch ist eh recht gut!“ – das stärkt mein Selbstbewusstsein. Ja, ich lese regelmäßig englische Zeitschriften, aber meinen aktiven Wortschatz möchte ich unbedingt erweitern und meine Aussprache verbessern.
Ich muss einen Einstufungstest der Schule absolvieren – das Ergebnis werde ich aber erst vor Ort erfahren. Ich lese englische Bücher im Vorfeld. Diesmal mache ich mir sogar die Mühe, mir wichtig erscheinende Vokabeln nachzuschlagen und die Übersetzung dazuzuschreiben.
Der Aufenthalt
Ein bisschen aufgeregt bin ich schon. Die größte Herausforderung der Anreise ist das Stück zwischen Dublin-Center und meiner Students Accomodation. Erster Kontakt mit Einheimischen beim Nachfragen bezüglich Bus... war Irland mit dem Akzent der Einheimischen wirklich die richtige Entscheidung? Die Iren könnten ein bisschen was lernen von unserem gut ausgeschilderten Bus-System. Oder ist es nur, weil mir unser System so viel vertrauter ist?
Erster Schultag: netter Empfang in der Schule, Einführung in die Gepflogenheiten der Schule, erste Einheiten. Ich darf in eine andere Gruppe wechseln, wo ich leistungsmäßig besser dazu passe. Außer mir ganz viele junge Leute, alle noch in Ausbildung. Sehr abwechslungsreiche Methoden, lustige Spielideen des Lehrers, so eine nette Gruppe! Fühle mich trotz des Altersunterschiedes voll akzeptiert und finde diese jungen Menschen so toll, finde es wunderbar, mit Menschen aus verschiedenen Ländern zusammen zu sein. Wenn nur viele junge Menschen diese Möglichkeit hätten oder nutzen würden – so könnten bestimmt manche Vorurteile abgebaut werden!
Auch gut, dass es in anderen Kursen noch ein paar Leute in etwa meinem Alter gibt...wir treffen uns bei Nachmittagsaktivitäten, die großteils von der Schule initiiert werden. Wie fein, am Nachmittag die Möglichkeit zu haben, gemeinsam mit anderen Dublin anzuschauen und dabei weiter Englisch zu hören und zu sprechen!
Am Freitag dann Graduierung in der ersten Schule – und bei der Verabschiedung von den Leuten bin ich schon ein bisschen traurig, dass ich sie kommende Woche nicht mehr sehen werde.
Wie es wohl in der zweiten Schule wird?
Schöne Fahrt per Zug entlang des Meeres, Ankunft in Bray am Nachmittag – was für ein schönes Quartier!
Schulbeginn: es ist vielleicht ein Nachteil, dass ich alles mit der ersten Schule vergleiche. Der Empfang ist nicht so persönlich, die Gruppe voller ganz junger Menschen. Was für ein Unterschied zwischen ca. 18- und 25 bis 30-Jährigen!
Wenn doch unsere Lehrerin nur verschiedenartigere Methoden einsetzen würde, wenn sie uns doch nur aktiv sprechen lassen könnte anstatt so viele neue Vokabeln zu vermitteln. Hätte ich meine Rückmeldung nicht geben sollen? „We threaten the most having teachers in our class...“ – Oh ja, Lehrpersonen sind sicher besonders kritisch, wenn es um Unterrichtsmethoden geht. Und ich habe nicht nur durch meine jahrelange Unterrichtstätigkeit, sondern auch als Teilnehmerin in Spanisch-Sprachkursen schon recht viel Erfahrung.
Ein Highlight meiner beiden Sprachwochen: meine Tutor-Meetings in Bray mit Eins-zu-Eins-Betreuung zur Verbesserung meiner Aussprache! Das war mein ganz klares Ziel: meine in meinen Ohren zu Deutsch klingende Aussprache zu verbessern.
Schade, dass die schulischen Aktivitäten am Nachmittag nicht zustande kommen. Ich unternehme viel auf eigene Faust und versuche, jede Gelegenheit zu nutzen, mit anderen Menschen auf Englisch zu kommunizieren. Und ich habe so mehr Zeit für mich, kann mich in meine englische Lektüre vertiefen und ein bisschen zur Ruhe kommen - das ist vielleicht ganz gut, nachdem zuhause dann bald das Unterrichtsjahr wieder beginnt.
Nachbetrachtung
Rückflug nach Wien – voller Eindrücke und mit einem vollgeschriebenen Vokabelheft. Mit einem besseren Gespür für eine gute Aussprache, mehr Sicherheit beim Sprechen und dem Vorsatz, viele Möglichkeiten der Kommunikation auf Englisch zu nutzen. Und mit Kontakten zu zwei Schulen, die auch beim Erasmus-Programm dabei sind – auch, wenn ich noch nicht weiß, wie wir diese nützen könnten.
Ich bin so dankbar, dass ich diesen Sprachaufenthalt machen konnte, dass ich so tief in eine Sprache eintauchen konnte! Wie toll, so verschiedenen Menschen aus unterschiedlichen Ländern begegnet zu sein; so schön zu sehen, dass es so viele interessierte junge Menschen gibt! Und ein gutes Gefühl, auch als nicht mehr ganz so junge Frau von jungen Erwachsenen geschätzt zu werden!
Doch eine Frage bleibt: Wie schaffe ich es jetzt, nicht nur meine Englisch-Kenntnisse, sondern auch meine Spanisch-Kenntnisse auf dem jetzigen Niveau zu halten?