Story von Marlene Heftberger

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Zielland Belgien
Geburtsdatum 07.03.2005
Kategorie
Europäisches Solidaritätskorps
Soziale Netzwerke

Marlene Heftberger, am 06.09.2025 um 22:12

Eine Reise ins Ungewisse

eine Geschichte über prägende Erfahrungen, Höhen und Tiefen während meines 10-monatigen Freiwilligendienstes in Belgien

„Was wenn ich jetzt einfach mal für fast ein Jahr weg bin, dem Alltag zuhause entfliehe, mein gewohntes Umfeld verlasse, Freunde, Familie und meinen Freund zurücklasse, mich in ein völlig neues Land begebe mit einer anderen Sprache, mich Hals über Kopf in ein unbekanntes Abenteuer stürze, ganz allein?“
Eine verrückte und beängstigende Idee, nicht wahr? Und trotzdem schwirrte mir dieser Gedanke schon lange im Kopf herum... Als ich dann das erste Mal eher durch einen Zufall von der Möglichkeit erfuhr, einen Freiwilligendienst über das europäische Solidaritätskorps im Ausland zu machen, war ich sofort Feuer und Flamme für diese Idee.

Es folgten monatelanges Informieren, Überlegen und Suchen nach einem passenden Projekt und früher als gedacht war er dann da, dieser Tag, an dem ich Abschied nehmen musste. Ich stieg in den Zug ein und von jetzt an war ich auf mich gestellt, eine Fahrt ins Ungewisse und trotzdem wusste ich irgendwie, alles wird gut. Meine Vorfreude und Neugierde auf das, was kommt waren riesig und rückten den emotionalen Abschied von meinem Zuhause in den Hintergrund.

Und ich hatte Recht behalten, denn es wurde wirklich alles gut. In meinem Zielland Belgien wurde ich auf dem ersten Seminar vom Team meiner Aufnahmeorganisation SPJ warmherzig empfangen. Diese Menschen begleiteten mich nicht nur organisatorisch durch meinen Freiwilligendienst, sondern waren auch Ansprechpartner bei allen möglichen kleineren und größeren Krisen während meines Auslandsaufenthaltes.
Neben dem SPJ lernte ich dort auch 13 andere Freiwillige aus den verschiedensten Ländern Europas kennen, die mit der Zeit über viele Seminare, gemeinsame Treffen, Reisen und unglaubliche Erlebnisse hinweg wie eine zweite Familie für mich wurden, sodass der Abschied von diesem bunten Haufen am Ende genauso schwer war, wie der Abschied von meiner Familie in Österreich am Beginn meines Freiwilligendienstes.

Warum führte mich mein Weg aber nun wirklich nach Belgien, genauer gesagt in einen kleinen Ort namens Ellignies-Sainte-Anne nahe der französischen Grenze, in dem es nicht einmal einen kleinen Supermarkt gibt? Tja, weil es dort dafür ein umso größeres Zentrum namens "Pommeraie" gibt, in dem insgesamt ca. 200 Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen leben und arbeiten. Das war das Projekt, für das ich mich schlussendlich entschieden hatte. Ich wollte mit Menschen arbeiten, etwas Sinnvolles tun und ein für mich neues Berufsfeld entdecken. Mein Schulfranzösisch wurde dort ordentlich auf die Probe gestellt, doch trotz anfänglicher Sprachbarrieren wurden meine italienische Mitfreiwillige und ich vor allem von den Bewohner*innen von Beginn an mit offenen Armen aufgenommen. Es folgten viele schöne Momente in den Wohngruppen und Ateliers, in denen wir die Bewohner*innen dieses Zentrums in ihrem Alltag begleiten und unterstützen durften, aber auch einige Herausforderungen, vor die wir im Umgang mit den Beeinträchtigten gestellt wurden.

Ich bin dankbar für alle Hochs, die ich während meines Freiwilligendienstes erlebt habe, für die tollen Menschen, die ich kennengelernt habe, die neuen Orte, die ich entdecken durfte, die Reisen, die ich machen konnte, die Abenteuer, die ich erlebt habe und die Zeit, die mir gegeben wurde, dass ich mich selber ein Stück weit besser kennenlernen und neu entdecken konnte. Ebenso bin ich aber auch dankbar für alle Tiefs, für Momente, in denen ich vor Herausforderungen stand, ich mich überfordert fühlte, ich mich nicht verständigen konnte, weil mein Französisch am Ende stand, Momente, in denen ich mich alleine und unverstanden fühlte oder Heimweh hatte, denn aus all diesen schwierigen Momenten konnte ich auch vieles lernen. Ich habe gelernt, offener auf andere zuzugehen, geduldiger zu sein, mich nicht mehr zu schämen, wenn ich mal einen Fehler mache (vor allem beim Sprechen einer fremden Sprache), auch auf mich selbst besser zu achten, meine Bedürfnisse offener zu kommunizieren und dass ich mehr schaffen kann, als ich denke.

Ich bin selbstständiger und selbstbewusster geworden und konnte in dem Atelier, in dem ich gearbeitet habe, sogar ein eigenes Projekt umsetzten, auf das ich sehr stolz bin: ein riesiges Mosaik aus Lederresten, das bei einer großen Exposition der Pommeraie 2026 ausgestellt werden sollte. Dabei wurden nicht mehr verwendbare Lederreste von verschiedenen Bewohnern*innen in kleine Stückchen geschnitten und anschließend auf quadratische Kartonplatten geklebt. Jeder und jede im Atelier Cuir (=Leder) hatte die Möglichkeit eines oder mehrere Quadrate zu bekleben, die dann anschließend auf einer großen Holzplatte zusammengefügt wurden und einen im Kreis verlaufenden Farbverlauf ergaben. So fanden einerseits viele Verschnitt-Reste noch eine Verwendung und andererseits konnten möglichst viele verschiedene Bewohner*innen daran zusammenarbeiten.

Rückblickend kann ich sagen, dass ich froh bin, diesen Schritt ins Ungewisse gewagt zu haben. Diese zehn Monate haben mich in vielerlei Hinsicht geprägt und mir Erinnerungen geschenkt, an die ich noch lange mit einem Lächeln zurückdenken werde.

Mosaik aus Lederresten, erstellt von den Bewohner*innen der Pommeraie