Fern vom Trallali und Tralla des Erasmus- Lebens gibt es auch noch andere Eindrücke und Erfahrungen, die einem nicht nur auf akademischer Ebene neue Perspektiven öffnen. Ich erfahre zum ersten Mal in meinem Leben, was es bedeutet Ausländerin zu sein, wie es sich anfühlt auf bürokratischen Wegen als "Ausländerin" gehandhabt zu werden. Und es ist ein ziemlich seltsames Gefühl.
Für meine zwanzig Jahre war ich schon viel auf Reisen, unter anderem auch alleine in Lateinamerika. Außerdem studiere ein geisteswissenschaftliches Studium, ich bin mir also dessen bewusst, dass es uns in Österreich verhältnismäßig extrem gut geht. Dennoch wird mir diese Erkenntnis durch das Erasmus Semester um einiges klarer. Zum ersten Mal lebe ich tatsächlich ich in einem Land/ in einer Stadt, wo die Infrastruktur, die Sozialpolitik, das Gesundheitssystem, die Bildung nicht gut funktionieren, anstatt es nur zu bereisen. Zum ersten Mal ist es mein "zu Hause", mein Alltag in dem ich eben diesen Mangel bemerken kann. Dazu möchte ich euch eine kleine Anekdote erzählen:
Auf meinem Weg zur Uni gehe ich fast jeden Tag die Via Tiburtina entlang. Mehrmals wöchentlich treffe ich hier auf junge Männer, die aus Afrika geflüchtet sind und vielleicht ein paar Jahre älter sind als ich. Sie kehren den Bürgersteig und entsorgen den Müll, Dreck etc. Dafür kann man ihnen ein bisschen Kleingeld in einen Becher werfen. Warum funktioniert das in Italien? Zum einen, weil die Infrastruktur in Rom tatsächlich sehr schlecht funktioniert. Je weiter man sich aus der touristischen Zone entfernt, umso dreckiger werden die Straßen. Laub, Müll, Flaschen, Plakate- alles mögliche kann sich hier teilweise (!) auf den Gehwegen häufen.. Auch die Müllsäcke häufen sich manchmal (!) über Tage und blockieren für ein kurzes Stück den Gehsteig. Den unangenehmen Geruch könnt ihr euch wohl denken. *
Der zweite Grund, warum ich diese Burschen wöchentlich antreffe liegt in der Migration und wie sie in Italien funktioniert. Italien ist ein Land in Südeuropa mit direktem Zugang zum Mittelmeer. Anders als Österreich, hat Italien tatsächlich viele Flüchtlinge, die die Kapazitäten des Landes vielleicht nicht sprengen, aber enorm belasten. Denn wie bereits zuvor erwähnt, hat Italien- im Vergleich zu Österreich- keine sonderlich gute Infrastruktur. Über Sachen wie Müllabfuhr oder Straßenreinigung musste ich mir in Österreich beispielsweise noch nie Gedanken machen, weil sie einfach funktionieren.
Wir nehmen vieles in Österreich als selbstverständlich hin und reden über gravierende Probleme und versteht mich nicht falsch, Kritik an Österreich ist angebracht, denn es läuft nicht alles einwandfrei. Aber dennoch reicht manchmal der Blick über die Grenze, um zu realisieren, dass gewisse Dinge bei uns dennoch gut funktionieren und um sich selbst die Frage zu stellen, ob gewisse Ängste und Unzufriedenheiten, die durch die medialen Debatten vor allem vor den Wahlen geschürt werden, vielleicht doch gar nicht so real sind, wie sie scheinen, sondern viel mehr propagiert werden.
Ich für meinen Teil bin auf jeden Fall sehr froh, das Leben im Ausland erleben zu dürfen. Das Leben ist sehr schön hier. Ich kann köstliches italienisches Essen essen, den besten Espresso trinken, neue Leute kennen lernen, mein Italienisch verbessern und neue Eindrücke zum Geschichte Studium und der Geschichtswissenschaft generell erlangen. Ich möchte hier wirklich nicht so schnell weg! Auf der anderen Seite lerne ich auch, was es bedeutet, Ausländerin zu sein und die Sicherheit und den Komfort des Lebens in Österreich tatsächlich zu schätzen und zu realisieren. Für beide Facetten des Auslandsstudiums bin ich auf jeden Fall extrem dankbar!
*das ist natürlich nicht 24/7 so. Aber für das österreichische Auge ist es eben auffallend, nicht jede Millionenstadt kann eben so sauber sein wie Wien